Der Butoh-Tanz des Schreibens

Hortensien im Liebieghaus-Garten

Im April habe ich an der Online-Schreibwerkstatt „Mitbringsel“ des Literaturhauses München teilgenommen. Eine Woche lang jeden Abend eine Stunde schreiben mit Impulsen und Tipps von Doris Dörrie. Wir schreiben über Mitbringsel, Kleidung, Lebensmittel …

In der E-Mail mit dem Einwahllink werden wir gebeten, fünf Gegenstände bereitzulegen. Bei mir sind das: Ein kleines Krokodil aus Glasperlen, eine Streichholzschachtel mit einer Feuerspuckerin drauf, ein gelber Flaschenöffner, ein gequilteter Untersetzer und eine Tasse. Warum? Wir werden automatisiert schreiben und uns dabei auf einen Gegenstand konzentrieren. Kein Gegenstand ist zu banal. Präzision ist unser Werkzeug.

Wir schreiben zehn Minuten ohne abzusetzen, voll konzentriert auf unser Mitbringsel. Absichtslos, ohne Bewertung, ohne Nachdenken, ohne Kontrolle. Blödsinn schreiben. Der Text schreibt mich. Diese Praxis kommt mir sehr bekannt vor. Nämlich aus dem Butoh-Tanz.

Automatisiertes Schreiben und Butoh

Was ist Butoh? Der japanische Tanz der Finsternis. Keine Musik, keine Choreographie. Stattdessen das Fu, eine Abfolge von Bildern, die in ganz enger Konzentration im Körper umgesetzt werden. Die Bewegung bricht sich Bahn durch den Körper. Energie, die durch den ganzen Körper fließt wie durch die Wurzeln eines Baumes. Bewegung entsteht wie von selbst.

Butoh bedarf der Vorbereitung: Lockerungsübungen, Meditation, der spezielle Butoh-Gang zur Entschleunigung, ein kleines Ritual mit der Ausgangsstellung wie der Tiger vor dem Sprung. Und die Gewissheit, dass man jedes Bild jederzeit verändern oder verlassen kann.

Die Bilder (Butoh-Fu) werden angesagt und sind jede Woche gleich. Es wächst ein Ast aus deinem Schädel. Der Ast wippt. Und jedes Mal passiert etwas Neues mit dem Körper. Mal nervt der Ast (wenn er durchs Auge gewachsen ist oder wenn er im Nacken festsitzt) mal ist er ästhetisch, in perfekter Symmetrie oder er bildet eine Krone. Wippt nicht nur, sondern blüht prächtig. Die Bilder verändern sich spielerisch und stetig. Die Bewegung ist immer wieder neu. Der Körper tanzt mich.

3 Tipps von Doris Dörrie

Ich habe sehr viel aus dem Seminar mitgenommen – in meinem Notizbuch sind nicht nur lauter neue gute kleine Texte, sondern auch seitenweise Impulse und Tipps, die mir immer wieder durch den Kopf gehen. Die drei, die mir am meisten helfen, gebe ich gerne weiter:

  1. Automatisiertes Schreiben vs. „Morning Pages“
    Wir bleiben beim automatisierten Schreiben beim Objekt. Sonst würden wir unsere Gedanken aufschreiben, dadurch werden alle Texte gleichförmig. Wenn wir mit Präzision beim Objekt bleiben, entsteht immer wieder etwas Neues.
  2. Über „etwas Schönes“ zu schreiben ist ein Irrtum
    Die Story liegt immer im Konflikt, wir wollen die Verletzlichkeit sehen. Beim Schreiben geht es um Schmerz – show, don’t tell.
  3. Schreiben ist Zeugenschaft
    Mit dem Schreiben geben wir Zeugenschaft ab vom Dasein als Mensch. Wer schreibt ist unterwegs. Durch das Schreiben verwandeln wir Konsum in Kreativität. Von der Passivität in die Aktivität.

Doris Dörrie hat uns großzügig mit allem versorgt, was man braucht, um eine gute Story zu schreiben: Sie hat uns kleine Aufgaben gegeben, gut zugehört, Fragen beantwortet und ihre Texte mit uns geteilt.

Am ersten Abend bittet sie uns, in den Chat zu schreiben, wann uns zum ersten Mal gesagt wurde, dass wir nicht gut genug sind. So viele Geschichten im Chat, so traurig zu lesen. Mit ihrem Kurs hat sie 200 Menschen die Möglichkeit gegeben, mit diesen negativen Erfahrungen abzuschließen und einfach zu schreiben. Am letzten Abend dürfen alle, die möchten, ihre Texte vortragen und es wird gelesen, bis es nicht mehr geht.

Hilft es? Oh ja!

Durch die Schreibwerkstatt traue ich mir zu, in kurzer Zeit kreative Texte zu schreiben – oft ohne abzusetzen, ohne Kontrolle und absichtslos.

Texte aus dem Mitbringsel-Kurs auf der Homepage des Literaturhaus München.

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