Maschinenschreiben

Foto von einem verwilderten Industriegelände. Im Vordergrund steht eine Betonwand, in die mit einem Meißel ein Gesicht geschlagen wurde.

In diesem Text geht es nicht um künstliche Intelligenz, also um Maschinen, die schreiben. Es geht noch nicht mal um die Zukunft. Ich blicke zurück in die 90er Jahre und erzähle, wie ich damals Maschinenschreiben – also Schreibmaschine-Schreiben – gelernt habe.

Es muss 1995 gewesen sein, ich war 14 und A. 15. Es gab keine Smartphones, kein Internet. Stattdessen Bravo lesen, im Einkaufszentrum rumhängen und Zimtkaugummis von den anderen schnorren. Nach der Schule MTV oder Viva im Fernsehen. Abends am Telefon darüber quatschen, wie es im Einkaufzentrum war. Wer voll süß und wer echt peinlich ist.

A. rief mich also 1995 an und hatte die Idee, einen Volkshochschulkurs zu machen. Tastenschreiben auf der Schreibmaschine. Es war ihr Ernst. „Wenn man Schreibmaschine schreiben kann, kann man einen guten Ferienjob bekommen. Wir sind schließlich jetzt junge Frauen.“ Also sind wir hin. In unserer Stadt ist nicht viel los, nicht mal Kino. Bücherei immerhin.

Der Unterricht findet im Keller der Gesamtschule statt. A. und ich gehen aufs Gymmi, kennen uns nicht aus und suchen den Raum. Wir kommen zu spät rein und sind gar nicht auf der Liste. (Das war so mit A. Wir wurden mal aus einem Yogakurs weggeschickt. Aus Prinzip. Und weil wir merkwürdige Teenager inmitten von Erwachsenen „mit Rücken“ waren).

Wir stehen im Schreibmaschinenkeller: Jung, nicht angemeldet, ein bisschen im falschen Film, aber jetzt sind wir hier und wollen tippen lernen.

Frau B. sagt ja

Der Raum ist groß und dunkel, vor uns vielleicht dreißig Schreibmaschinenarbeitsplätze. Jede Maschine steckt in einer Hülle aus zähem Kunststoff, in dunkelgrün oder rotbraun. Die Maschinen müssen aus den siebziger Jahren stammen. Auf dem Pult steht noch ein Plattenspieler. Schreibmaschinen sind 1995 schon veraltet. In den Büros gibt es längst nur noch Computer. Und wir Teenies hören keine Schallplatten, sondern CDs oder Kassetten im Walkman.

Die Kursleiterin stellt sich als Frau B. vor. Sie ist eine Top-Sekretärin mit ordentlichen Schulterpolstern und einer bombenfesten roten Bobfrisur. Sie erlaubt A. und mir zu bleiben, obwohl wir nicht auf der Liste stehen. „Natürlich müssen eure Eltern euch noch anmelden und den Kurs bezahlen.“ Sie ist nett, gibt uns eine Chance. Ein Zertifikat in diesem Kurs sei sehr wertvoll für die Bewerbungsmappe, lässt sie alle Teilnehmerinnen (die Gruppe besteht nur aus Frauen) wissen. Kann ich leider nicht beurteilen.

Tipp-Ex verboten

Fehlerfrei und möglichst schnell eine Vorlage oder nach Diktat abtippen ist das Ziel des Kurses. Der Mensch ist nur dazu da, die Maschine zu bedienen, der Maschine zu dienen. „Am Ende zählen die Anschläge pro Minute, je mehr Anschläge, desto höher ist später das Gehalt“, sagt Frau B.

Spicken verboten. Die Tastatur der Maschine ist mit einem Stück Papier abgedeckt. Die Hände liegen auf den Tasten, das weiße Blatt Papier locker darüber. Bei der QWERTZ-Tastatur haben das F und das J eine Einkerbung, die man mit dem Zeigefinger spüren kann, damit die Hände richtig liegen. Den Blick immer auf die Vorlage richten, nicht auf die Tasten und nicht auf das Blatt, auf das man gerade tippt (sieht man den Fehler, ist es sowieso zu spät). Tipp-Ex und Korrekturband auch verboten.

Frau B. dobbst mit dem Druckknopf des Kugelschreibers zum Plattenspielergedudel auf das Pult. Dobbs – dobbs – dobbs – dobbs PAUSE dobbs – dobbs – dobbs – dobbs immer so weiter. Ihre Stimme habe ich genau im Ohr: jott kah ell öh PAUSE ah esss ddeh eff PAUSE jott kah ell ÄÄH – wir müssen mit dem kleinen Finger neben das Ö zum Ä springen – ah esss EEH eff – wir tippen mit dem Mittelfinger hoch zum E. Frau B. zeigt uns auch, wie man ein Farbband wechselt und waghalsige (im Wortsinn) Dehnübungen für Nacken und Schultern.

A. hat ein Geheimnis

Leider ist das so eine Sache mit den Hausaufgaben. Nur wer regelmäßig fehlerfreie Übungsblätter abgibt, besteht den Kurs. Ich verpasse keine Unterrichtseinheit, aber die Hausaufgaben schaffe ich nicht. Meine Übungsblätter sind voller Fehler und ich habe nicht die Geduld so lange daran zu sitzen, bis wirklich alles richtig ist. Während A. die Hausis mit Leichtigkeit schafft. Komisch, im Kurs selbst klappt es bei ihr manchmal gar nicht. Ich gebe immer öfter keine Übungen ab.

Später weiht mich A. ein. Sie hat ein Geheimnis. Eine Geheimwaffe. Die Hausaufgaben macht sie nämlich mit einer Schreibmaschine mit Korrekturfeld. Ihre Maschine tippt also erst, nachdem man nochmal draufgeschaut hat. Fehler kann man direkt korrigieren. Deshalb sind ihre Übungsblätter immer fehlerfrei, ganz ohne Tipp-Ex.

Das Leben ist nicht fair.

Keine Hausaufgaben – kein Zeugnis. Ich bestehe den Kurs nicht. Frau B. tut es ehrlich leid, dass es für mich nicht geklappt hat. „Wenn du deine Hausübungen noch abgibst, stelle ich dir das Zeugnis nachträglich aus“ bietet sie mir an. Doch für mich ist das Kapitel abgeschlossen.


Das ist gut 30 Jahre her und ich tippe im Büro und für den Blog alles mit Zehn-Finger-System. Schnell bin ich auch. Aber den Kurs habe ich nicht abgeschlossen, die Hausaufgaben nie nachgereicht. Kann ich es jetzt also, oder kann ich es nicht?

Dieser Artikel ist in Anna Koschinskis langer Blognacht entstanden. Den Impuls „Dafür schlägt mein Herz“ habe ich nicht bearbeitet. Das einzige, was in meinem Text schlägt sind die Finger auf die Tastatur und die Hebel mit den Buchstaben aufs Papier.

Inspiriert hat mich Anna trotzdem zu diesem Text, denn in diesem Artikel von ihr geht es unter anderem ums Tastenschreiben.

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