Ich war am 10. April bei der Lesung von Stefanie Sargnagel, musikalisch begleitet von Christiane Rösinger im Künstler*innenhaus Mousonturm in Frankfurt am Main. Gelesen wurde der Roman „Iowa. Ein Ausflug nach Amerika“ einschließlich korrigierender Fußnoten.
Sinnlos schöner Abend
Die Lesung im Mousonturm ist ausverkauft und das Publikum ist bunt gemischt. „Ein Spartenpublikum aus einkommensschwachen Intellektuellen, Feministinnen, Hipstern und Punks“ wie Stefanie Sargnagel selbst schreibt. In Frankfurt ist es nicht anders: Musikfrauen, Nerds und Bücherwürmer (ich fühle mich wie zu Hause) feiern die beiden Künstlerinnen. Der große Saal ist komplett belegt, das Bühnen-Setup ist minimalistisch und die Show wird sensationell.
Wegen Stefanie Sargnagel bin ich gekommen und ich gehe mit einem Crush auf Christiane Rösinger, deren Musik jetzt in Dauerschleife läuft, um all die versäumten Jahre mit ihrer Musik nachzuholen.
Flug auf dem Rücken des Pelikans
An diesem Abend liest Stefanie Sargnagel aus ihrem Roman und Christiane Rösinger ergänzt sie mit kritischen Fußnoten und traumhaften Gesangseinlagen. Stefanie Sargnagel liest pointiert und mit einem Hauch von Distanz. Dadurch bekommen die Texte eine kleine zusätzliche Ebene, die sie für mich beim Lesen so nicht hatten. Christiane Rösinger liest ihre Ergänzungen ohne Umschweife: Langeweile, Kritik, Neugier, alles ist dabei. Der Ton verschmitzt und gelassen.
In Frankfurt werden vor allem die Ausschnitte gelesen, in denen die beiden Künstlerinnen Zeit miteinander verbringen und nur ein kurzer Ausschnitt aus der Zeit mit Stefanie Sargnagels Mutter, nämlich die Fahrt zu den Amish, Eier kaufen. Während der Lesung bleiben wir in Iowa. Viele Reiseszenen sind dabei, wie die Fahrt mit dem Greyhound-Bus, dessen Busfahrer seine Passagiere wie ein Sozialarbeiter betreut. Und dann natürlich die Phasen des Liegens („Ich ziehe ab acht den Onesie an.“) und der Langeweile im gelben Haus auf dem Grinnell-Campus.
v.L.n.R. Stefanie Sargnagel, Christiane Rösinger, Claudia Fierke
Durch Rösingers Fußnoten erfahren wir, weshalb Männer über 55 kein Dating-Material sind (autoritäre Erziehung, Nachkriegskind, Hormone usw.). Im Laufe des Abends singt sie „Wer wird Millionär?“ und „Depressiver Tag“.
Der Höhepunkt der Lesung ist der Ausflug an den Mississippi, meine Lieblingsstelle im Buch. Dabei kommt sogar eine Requisite zum Einsatz, der Fisch, den Christiane Rösinger in ihrer Umhängetasche hat, um den Pelikan anzulocken. „Der Pelikan schlägt die Flügel und beginnt mit Christiane auf dem Rücken in die Luft zu steigen“. Und Christiane Rösinger singt für uns „Mississippi, you’ll be on my mind“.
Zum Abschluss singen Christiane Rösinger und Stefanie Sargnagel (begleitet von Claudia Fierke an der Gitarre) „Sinnlos“. Der Song wird mir noch tagelang im Ohr bleiben. Vor allem im Büro schwirrt es mir durch den Kopf. Danach Signierstunde vor dem Saal mit einer konzentrierten Stefanie Sargnagel und Christiane Rösinger, die einfach eine gute Zeit hat … und ab und zu auch mal ein Buch signiert.
Lesetipp: Iowa. Ein Ausflug nach Amerika
Der Roman handelt von Stefanie Sargnagels Gastdozentur am Grinnell College in Iowa. Sie reist zunächst in Begleitung von Christiane Rösinger, die später auch korrigierende Fußnoten zum Roman beisteuert. Gemeinsam ertragen sie die Langeweile auf dem abgekalpselten Campus und in der verschlafenen Kleinstadt Grinnell. Die meiste Zeit haben sie kein Auto und streifen durch die Thriftstores, den Walmart und die wenigen Bars der Stadt.
Die Ausflüge weg von Sofa und Fernsehsessel sind große Abenteuer: Da ist der Besuch des Skywalks in Des Moines, der zum Horrortrip wird, und ein Ausflug an den Mississippi, der Rösinger einen verträumten Ritt auf dem Rücken eines Pelikans beschert. Leider ohne Foto. Rösinger reist früher ab und nach einer kurzen Phase der Schwermut beginnt ein neuer Abschnitt des Buches: Sarnagels unerschrockene und neugierige Mutter kommt zu Besuch und gemeinsam reisen sie durch die USA.
Mutterschaft ist – mal unterschwellig, mal direkt angesprochen – das Thema des Buches. Vorsichtig setzt sich Sargnagel mit dem eigenen Kinderwunsch auseinander. Männer sind in dem Buch nur Randfiguren: Dimitri hat eine Fastenkur gemacht, Loki trinkt, weil er zu Hause rausgeflogen ist, und die Jungs auf der Dating-Plattform zeigen sich in Camouflage mit Jagdtrophäen geschmückt.
Die Dynamik zwischen Rösinger und Sargnagel in dieser fremden, eierschalenfarbigen Umgebung ist faszinierend und wird in den Fußnoten von Christiane Rösinger zum Roman noch einmal reflektiert. Ein sehr unterhaltsames und lesenswertes Buch!
„Iowa. Ein Ausflug nach Amerika“ von Stefanie Sargnagel ist im Dezember 2023 beim Rowohlt Buchverlag erschienen. 304 Seiten mit Fußnoten und der künstlerischen Aura von Christiane Rösinger.
Stefanie Sargnagel
Wie bin ich auf Stefanie Sargnagel aufmerksam geworden? Spät. Und durch die Drinnies Giulia Becker und Chris Sommer, die Sargnagels Werke regelmäßig in ihren Insta-Storys teilen. Bisher habe ich das Buch „Dicht“ gelesen, das Anfang der 2000er Jahre in Wien spielt. Damals war ich auch in Wien, allerdings habe ich mich nur an der Uni und im AAI rumgetrieben und nicht im Votivpark. Mehr zu ihren Büchern beim Perlentaucher.
Christiane Rösinger
Ich bin ein VIVA-Kind und habe Christiane Rösinger mit den Lassie Singers bei einer der frühen Stefan Raab-Shows gesehen. Es wurde eine morbide Runde Stadt-Land-Fluß gespielt. Unvergesslich. „Toter Star“ ist seitdem für mich eine feste Kategorie. Wie wichtig Christiane Rösinger für die deutsche Musikszene ist, erfährt man in dieser wunderbaren Episode von Doppelkopf bei HR2-Kultur.
Ein denkwürdiger Abend. Wie gerne würde ich manchmal auf die Rewind-Taste drücken . Du hast es getan.
Der Abend war so cool!!!