Spurensuche: Architektur der Riederwaldsiedlung

Die Gartenstadt Riederwald - hier ein Bild aus einem der liebevoll gepflegten Gartenstreifen.

Im Rahmen der fotosoziologischen Spurensuche habe ich den Stadtteil Riederwald besucht. Die Siedlungsarchitektur der 20er Jahre wird hier noch ganz normal bewohnt.

Zum Riederwald muss ich nur wenige Stationen mit der U-Bahn fahren. Im Vorbeifahren dachte ich immer an die Wiener Karl-Marx-Siedlung im 20sten Bezirk. Das ist kein Zufall, denn beides sind Beispiele für neues Wohnen für Arbeiterfamilien: Helle Wohnungen mit eigenem Bad und eigenen Gartenparzellen.

Treffpunkt Stehcafé

Diesmal war es aber kein Vorbeifahren, denn mit den anderen Bildungsurlauber:innen war die Siedlung das Ziel der Exkursion. Treffpunkt: Stehcafé am alten Eingang der Siedlung. Das wird unser Startpunkt und später auch unser Treffpunkt nach der Fotosafari.

Die Gruppe besteht aus 13 Leuten, alle gut gelaunt und alle mit Smartphone oder Kamera vor der Nase. Auffällig in diesem Viertel, bisschen wie eine Reisegruppe, bisschen Geheimagenten-Vibes. Sicherlich ist unsere Gruppe nicht die erste, die nur zum Gucken da ist. Wir gehören nicht wirklich hier her und das spürt man. Die Riederwäldler kennen das schon. Wir werden angesprochen. „Was ist jetzt schon wieder los? Was fotografiert ihr hier?“

Von Rohkost und Reichsbürgern

Vor kurzem war hier nämlich wirklich etwas los. Gegenüber vom Stehcafé steht ein Lokal leer. Darin war vorher eine „Rohkosteria“. Klingt harmlos, wurde aber von einem Reichsbürger geführt, der einen betrügerischen Online-Shop betrieb – Krebs durch Nahrungsergänzungsmittel heilen. Darüber wurde die Dokumentation „Soldaten des Lichts: Reise durch das Reichsbürger-Milieu“ gedreht und vor der Rohkosteria wurde monatelang demonstriert, bis sie endlich geschlossen werden konnte (illegale Untermiete).

Ich war gekommen, um die Architektur anzuschauen, doch geblieben sind mir die Eindrücke aus den Gesprächen mit den Anwohner:innen. Die Erleichterung, dass wir nicht auf einen neuen Skandal aus sind. Die Themen des Viertels, das Zugehörigkeitsgefühl und die kleinen Dinge, die das Wohnen und Leben hier ausmachen.

Leben in der Riederwaldsiedlung

Die Riederwaldsiedlung besteht aus zwei Bereichen. Der „Gartenstadt“, die von 1909 bis 1912 im Heimatstil gebaut wurde und der Erweiterung von 1926/27 im Stil den neuen Frankfurt von Ernst May.
Wohnungen für die Arbeiter des Frankfurter Osten: Gartenstreifen für den Gemüseanbau oder zum Wäschetrocknen.

Auffällig ist, wie gut die Übergänge zwischen dem alten und dem neueren Teil der Siedlung gelungen sind. Dabei könnten Heimatstil und das Neue Frankfurt kaum unterschiedlicher sein. Die Gärten und Wiesen trennen und verbinden die unterschiedlichen Bauten. Ernst May hat Schrägdächer und Schornsteine so eingesetzt, dass sie die Formensprache der Heimatsiedlung wiederholen.

Ach so, mit dem neueren Teil meine ich tatsächlich die Bauten von 1926, die Siedlung steht unter Denkmalschutz: Die massiven Betonaustritte, die kleinen Sprossenfenster, die Treppen und Handläufe vor den Hauseingängen und Balkongitter.

Alles wird erhalten, auch wenn die Bewohner:innen sie heute unpraktisch, eher häßlich und teilweise auch gefährlich finden.


Ich war im Oktober 2025 eine Woche lang mit der Kamera im Frankfurter Osten unterwegs. Hier findest du den Übersichtsartikel zur Spurensuche nach der Frankfurter Industriekultur.



Gemeinschaftsgefühl der Siedlung

Vor der Evangelischen Kirche, am Marie-Juchacz-Platz, gibt es einen Bankautomaten der Frankfurter Sparkasse, den großen Lotto-Laden mit DHL Annahmestelle. Vor dem Lottogeschäft trinken Leute Kaffee, beobachten unsere Gruppe etwas. Im Sparkassenhaus gibt es Räume für das Nachbarschaftstreffen.

Vor dem Bürgertreff stellt sich uns jemand als Mitglied der Linken vor und spricht gerne über den Stadtteil und die Stimmung. Dass er noch nicht so lange im Riederwald wohnt, sich aber gut eingelebt hat – man kann mit den Leuten einfach reden, die Nachbarschaft hat einen guten Zusammenhalt. Die Proteste gegen die Reichsbürger hat er mitgemacht. Später werden wir ihn im Stehcafé wieder treffen.

Der Stadtteil hat zwei sehr moderne Kirchenbauten, die katholische Kirche ist ebenfalls ein Entwurf von Ernst May.

Heute läuft sie unter dem Akronym N.O.A.H. (Neuer Ort für Aufbruch und Hoffnung) und ist Teil der christlichen Ökumene.

Ein- und Ausblicke der Rundbausiedlung

Wir ziehen vom Bürgertreff aus weiter zur Rundbausiedlung. Jetzt wird geknipst. Wir werfen neugierige Blicke in einen Container, der vor einem Haus steht, dass gerade saniert wird. Bücher, Kochgeschirr, Weihnachtsschmuck. Auch in den Hausflur werfe ich einen Blick: Alte, feste Türen mit Oberlichtern, Terrazzo-Boden in der Diele, alte Schrift an der Wand vor der Kellertreppe.

50 Meter weiter wird eine der Wohnungen mit den auffälligen runden Balkons renoviert – die Arbeiter können uns aber nicht auf die Baustelle lassen.

Eine Dame aus dem Nachbarhaus spricht jemanden aus unserer Gruppe an „Was ist jetzt schon wieder los?“. Nach kurzer Erklärung zeigt sie sich abenteuerlustig und führt uns in ihre Wohnung.

Wir dürfen alles anschauen: Die kleine Küche mit Durchgang zum Gartenstreifen, den großzügigen Keller und wir dürfen sogar hoch, ins Schlafzimmer und nochmal hoch auf die kleine Dachterrasse mit Blick auf das Gärtchen.

Die Nachbarn müssen die praktischen kleinen Vordächer zum Garten hin abreißen, weil sie nicht den Vorgaben des Denkmalschutzes entsprechen. Außerdem sollen überall wieder Sprossenfenster eingesetzt werden – sie findet die furchtbar altmodisch.

Die Dame ist in der Siedlung aufgewachsen und erzählt, dass sie gern in den Lottokiosk geht. Wenn man jemanden lange nicht gesehen hat, trifft man sich dort auf jeden Fall wieder. Sie liebt ihren Garten, aber nicht die Treppen des Hauses, da ist sie schonmal schwer gestürzt.

Außerdem sorgt sie sich wegen der geplanten Bauarbeiten: Eine alte Kastanienallee muss demnächst weichen. Am Anfang der Straße steht ein Musterhaus, das zeigt, wie die Wohnungen renoviert werden sollen. Viele Veränderungen und Bauarbeiten.

Stolz ist sie auf den wunderschönen Abenteuerspielplatz der Siedlung, ihre Augen leuchten, wenn sie darüber spricht.

Die Welt im Stehcafé

Nach einer Fotorunde vor der Pestalozzi-Schule, geht es für mich zurück zum Anfang. Die ganze Gruppe trifft sich gegen Mittag wieder beim Stehcafé.

Die Besitzerin erzählt uns etwas über ihr Geschäft. Sie betreibt das Café Kiosk seit sechs Jahren. Sie und ihr Mann haben kurz vor der Pandemie eröffnet. Zum Glück konnten sie den Verkauf während des Lockdowns offen halten, es durfte aber niemand den Laden betreten.

Damals hatte sie mehr Sitzplätze draußen, inzwischen gab es Beschwerden, sie stellt weniger Stühle raus. Aber die Stadt Frankfurt hat zusätzliche Bänke auf dem Platz installiert. Man merkt deutlich, dass sie Unternehmerin ist. Sie mag das Viertel, lobt die anderen Geschäfte und erzählt, dass sie mit der Pestalozzischule und der Eintracht arbeitet.

Wir werden im Geschäft von einer alten Dame angesprochen. Sie erzählt uns, dass sie jeden Tag ins Hessencenter fährt, um sich die Zeit zu vertreiben. Das kann sie nur, weil sie damals nicht auf ihren Mann gehört hat, der gerne wollte, dass sie aufhört zu arbeiten, um sich nur noch um die Kinder zu kümmern. Sie hat ihr Leben lang gearbeitet. Ihr Rat: Macht einfach, was euch gefällt.


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