Sommerlektüre 2024

Büchersommer 2024

Diesen Sommer habe ich drei richtig gute und spannende Romane gelesen von den Autorinnen Paula Irmschler, Caroline Wahl und Mareike Fallwickl.

Meine Sommerlektüre sind Neuerscheinungen, die gerade im Buchhandel erhältlich sind. Alle drei Bücher habe ich mit großer Offenheit und Neugierde gelesen und schnell Parallelen und Berührungspunkte gesehen. Im Folgenden gebe ich daher nicht nur Empfehlungen ab, sondern zeige auch auf, welche Verbindungen ich sehe und nenne als Zugabe weitere Bücher, an die ich beim Lesen viel gedacht habe.

Alles immer wegen damals – Paula Irmschler

Der Roman „Alles immer wegen damals“ von Paula Irmschler wurde 2024 bei dtv veröffentlicht. Bei einem Roadtrip entwickeln Mutter und Tochter einen neuen Blick auf ihre gemeinsame Vergangenheit.

Die Geschichte wird abwechselnd von Karla und ihrer Mutter Gerda erzählt. Ihr Kontakt ist vor einigen Jahren abgerissen. Nun beschließen Karlas Geschwister, den beiden eine gemeinsame Reise zu schenken. Karla schlägt sich trotz ihrer psychischen Probleme alleine in Köln durch. Ihre Wohnsituation ist unsicher und stresst sie, so dass sie ihre Wohnung kaum verlässt, was wiederum ihre Ausbildung gefährdet. Auch ihre Fernbeziehung (ihre Freundin lebt ausgerechnet in Leipzig!) entwickelt sich nur langsam. Gerda wohnt in Leipzig und hat sich gerade von ihrem Freund getrennt. Neben ihrem Job hat sie ein Studium begonnen und beobachtet, wie die Nachbarwohnungen nach und nach luxussaniert werden. Zum gemeinsamen Musicalbesuch, der in der Familienchatgruppe organisiert wird, müssen sich Karla und Gerda mühsam durchringen.

Schlüssig zeigt das Buch eine Patchwork-Kindheit nach der Wende mit Internet und Castingshows. Wie sich diese schwierige Mutter-Tochter-Beziehung durch die Reise verändert, schildert Irmschler klar, authentisch und ohne Klischees. Mein Lieblingsbuch des Sommers.

Passen Gerda und Klara zu den Protagonist*innen aus dem Roman von Mareike Fallwickl? Klara und Nuri verbindet die Erfahrung prekärer Wohn- und Arbeitsverhältnisse. Ruth und Gerda kennen beide überfordernde Care-Arbeit.

Bücher, die dazu passen

Giulia Becker, Das Leben ist eins der Härtesten, Rowohlt, 2020

Stefanie Sargnagel, Dicht, Rowohlt, 2021


Windstärke 17 – Caroline Wahl

„Windstärke 17“ von Caroline Wahl ist der Folgeroman zu ihrem Debüt „22 Bahnen“ und ist 2024 bei Dumont erschienen. Im Roman erzählt Ida, die kleine Schwestern von Tilda aus „22 Bahnen“, ihre Geschichte.

Ida kämpft als junge Erwachsene damit, den Suizid ihrer alkoholkranken Mutter zu verarbeiten. Sie ist bei ihrer Mutter geblieben und hat deren Job im Café übernommen, nachdem ihre Bewerbung auf einen Studienplatz in Leipzig abgelehnt wurde. Nach dem Tod der Mutter verlässt sie mit einem einzigen Koffer die triste Wohnung in der Fröhlichstaße. Ida kann sich nicht dazu durchringen, sich von ihrer Schwester helfen zu lassen und fährt entgegen der Abmachung auf eigene Faust an die Ostsee, anstatt zu Tilda und ihrer Familie nach Hamburg zu fahren. Auf Rügen stellt sich Ida alleine gegen den Regen, den Sturm, das Meer.

Der Stil von Caroline Wahl ist kühl und fließend und die Dialoge sind spiegelglatt. Wie ein Wasserstrudel entwickelt der Text eine Sogwirkung. Besonders in den Passagen, in denen sich die psychische Extremsituation der Protagonistin ins Körperliche übersetzt: Schwimmen im Sturm, Rennen im Wald und Brüllen auf dem Baumwipfelpfad.

Ida würde sich wohl gut mit Karla aus „Alles immer wegen Damals“ verstehen: Den Familienchat ignorieren und spontan an die Ostsee fahren ist eine Gemeinsamkeit der beiden Geschichten. Ob die beiden miteinander Radiesschenbrote mit Vegeta essen würden?

Bücher, die dazu passen

A. L. Kennedy, Paradies, Wagenbach, 2005

Helene Bockhorst, Die beste Depression der Welt, Ullstein, 2021


Und alle so still – Mareike Fallwickl

Die österreichische Autorin Mareikel Fallwickl legt mit „Und alle so still“ ihren vierten Roman vor. Erschienen ist das Buch 2024 bei Rowohlt. Fallwickl nimmt darin das Thema der Verweigerung aus ihrem Vorgängerroman „Die Wut, die bleibt“ wieder auf.

Was passiert, wenn Frauen erschöpft auf der Straße liegen – lautlos – ohne Forderungen und ohne in Verhandlung zu treten? Der Roman beschreibt dieses Szenario aus der Perspektive dreier Figuren: Der Influencerin Elin, dem Rider Nuri und der Pflegekraft Ruth.

Im Mittelpunkt steht Elin, die ihre Großmutter im Krankenhaus sucht und sie stattdessen zusammen mit einer Gruppe anderer Frauen vor dem Krankenhaus liegend vorfindet. Elin wird Teil der „Bewegung“ und durch sie sind alle Protagonist*innen des Romans miteinander verbunden. Während Elin tiefer in die neu entstandene Frauengemeinschaft eintaucht, arbeitet die Pflegekraft Ruth bis zur äußersten Erschöpfung weiter, um den Krankenhausbetrieb aufrechtzuerhalten. Aus ihrer Perspektive wird gezeigt, wie das Gesundheitssystem ohne die Arbeit, die von Frauen geleistet wird, innerhalb einer Woche kollabiert. Auch Nuri arbeitet im Krankenhaus, er schiebt Betten für ein Subunternehmen. Nuri ist übermüdet, überarbeitet und wütend über seine ausweglose Situation (#mütend). Sein Tag wird von prekären Gelegenheitsjobs bestimmt, die ihm per App zugewiesen werden. Im Laufe der Erzählung solidarisiert er sich mit den Frauen.

Mareike Fallwickl entwirft im Roman eine drastische Zukunftsvision. Dabei beschreibt sie eindrucksvoll den Status Quo von Pflegekräften und von Personen, die im Niedriglohnsektor Extremarbeit leisten müssen. Die Handlung bleibt spannend, auch wenn der Prozess der kollektiven Verweigerung undeutlich bleibt: Fallen die Frauen in eine Art Erschöpfungs-Trance oder wurde einfach nur ein Kipppunkt überschritten?

Könnten Elin und Ida aus „Windstärke 17“ überhaupt miteinander in Kontakt treten? Elin ist ja doch etwas abgehoben … Immerhin spüren Elin und Ida ihren Körper am besten unter Wasser. Beide kennen ihre Väter nicht und haben ein schwieriges Verhältnis zu ihren Müttern.

Bücher, die dazu passen

Virginie Despentes, Das Leben des Vernon Subutex, KiWi, 2018

Marlen Haushofer, Die Wand, Claassen, 2023


Jedes der Bücher habe ich zügig durchgelesen, weil sie spannend, interessant und durchgehend gut zu lesen waren. Für meine Empfehlungen habe ich über die verschiedenen Geschichten viel nachgedacht. Und dann habe mir die Rezensionsnotizen im Perlentaucher angeschaut.

Mein Eindruck: Bücher von Autorinnen werden – wenn sie überhaupt rezensiert werden – viel kritischer besprochen, als die von männlichen Autoren. Da hilft nur lesen, lesen, lesen und sich selbst ein Bild machen. mehr Buchtipps gebe ich hier und hier.

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