Industriekultur im Frankfurter Osten: Eine Fotosoziologische Spurensuche

Die Europäische Zentralbank an einem regnerischen Herbsttag.

Ich habe mich eine Woche lang mit der Kamera auf Spurensuche begeben. Im Rahmen meines Bildungsurlaubs habe ich Industriekultur in Frankfurt – genauer im Frankfurter Osten gesucht und gefunden.

Im Oktober 2025 habe ich den Kurs „Industriekultur im Frankfurter Osten“ bei der Volkshochschule Frankfurt belegt. Das Programm war sehr abwechslungsreich: Verschiedene Vorträge, Spaziergänge und Exkursionen. Zeit zum Fotografieren – allein oder in der Gruppe – und Zeit, um über die Bilder zu sprechen.

Fotografieren war bei diesem Kurs eine Technik zur Reflexion und die Kamera war das Werkzeug, mit dem wir den besonderen Fokus auf die heute noch sichtbare Frankfurter Industriekultur richten konnten. Durch den Blick durch die Kamera hat sich jede und jeder aus dem Kurs auf eine eigenen Lernreise begeben und wir haben uns in der Gruppe darüber ausgetauscht.

Wer in der letzten Woche schon reingelesen hat, wird meine ausführlichen Tagesberichte vermissen. Diese Beiträge kommen natürlich wieder und werden nach und nach hier verlinkt.

  • Spurensuche auf dem Naxosgelände
  • Spurensuche im Osthafenpark
  • Spurensuche in der Riederwaldsiedlung
  • Spurensuche im Frankfurter Ostpark
  • Spurensuche in der Lindleystraße

Auf diesen Bildern sieht man, was auch zum Ostend gehört: Die Volkshochschule, Dr. Hoch’s Konservatorium, die Bethmannschule und das Abendgymnasium und natürlich die Rindswurst bei Gref-Völsing.

Was ist eigentlich Industriekultur?

Diese Frage stand die gesamte Woche im Raum. Es gibt verschiedene Definitionen. Die Definition auf Wikipedia ordnet Industriekultur als eine geschichtliche Betrachtungsweise ein. Industriekultur bedeutet vor allem Kulturgeschichte, also die Beschäftigung mit Technikgeschichte, Sozialgeschichte der Arbeit, Industriearchitektur und Fotografie. Im Kurs haben wir uns auf die (späte) Industrialisierungsphase in Frankfurt bis circa 1926 konzentriert.

Sitzbänke aus alten Holzplanken und sehr alten Rädern in Industrial-Style. Auf einer Bank steht "Designated Love Area".
Eindruck aus dem Osthafenpark: Bänke aus alten Teilen des Osthafens, die heute für Events am Main genutzt werden.

Das Forum Industriekultur beschreibt die Beschäftigung mit der Industriekultur als Frage „nach dem gesellschaftlichen Umgang mit der durchaus konfliktreichen Industriegeschichte und den Formen der Erinnerung[…]“. Wenn ich über Industriekultur forsche, betrachte ich gleichzeitig das Hier und Jetzt: Wie gehen wir mit Industriebauten um? Woran erinnern wir uns als Gesellschaft und was gerät in Vergessenheit? Welche Strukturen werden bis heute genutzt und in welcher Form?

Besonders treffend formuliert aus meiner Sicht die Seite der Industriekultur Ost, was an der Erforschung der Industriekultur so wichtig ist:

„Man muss immer wieder aufzeigen, es gäbe keine Städte, ohne die Industrie, welche sie nährten, es gäbe keine Kunstsammlungen, ohne die Unternehmer, welche sie finanzierten und viele Regionen in Deutschland wären bis heute wohl nicht derart stark besiedelt, wenn die Arbeit die Menschen nicht zum Siedeln animiert hätte.“

Das macht auch für mich den Kern der Reflexion über die Industriekultur aus. Mir hat der Bildungsurlaub die Möglichkeit gegeben, ganz konkret auf die Spurensuche im Frankfurter Osten zu gehen. Was ich dabei gelernt habe, kann ich in Zukunft auch auf andere Regionen übertragen, sie ermöglicht mir also eine komplexere Wahrnehmung meiner Umgebung.

Auf der Suche nach geschichtlichen Goldnuggets

Die Gruppe bestand aus 13 Teilnehmenden und den beiden Kursleitern Peter und Anouchka. Bei der Vorstellungsrunde zum Einstieg wurde klar, dass alle ähnliche Interessen hatten: Spaß an der Fotografie (egal ob mit Smartphone oder Kamera), Faszination für Lost Places und Industriedesign sowie den Wunsch, mehr über die Geschichte Frankfurts zu erfahren.

Stefan, einer der Teilnehmer, hat die Beschäftigung mit der Industriekultur sehr schön beschrieben als ein „Nugget“, das er mit der Kamera entdeckt und danach durch Recherche besser einordnen kann. Wieder ein Puzzleteil gefunden und wieder etwas Neues gelernt.

Die Europäische Zentralbank an einem regnerischen Herbsttag. Die alte Großmarkthalle mit einem nassen, Parkplatz und roten und gelben Laubbäumen. Der komplett verglaste Tower spiegelt den grauen Himmel.

Aus unserem Seminarraum konnten wir direkt auf alte Großmarkthalle, heute Sitz der Europäischen Zentralbank, schauen. Sie war einer der treibenden Faktoren für die Industrialisierung des Frankfurter Ostens. Heute ist der Martin-Elsässer-Bau ein Beispiel für Umbau und Umnutzung als Bürofläche.

Warum mit Industriekultur beschäftigen?

Am ersten und am letzten Tag des Bildungsurlaubs haben wir in Kleingruppen darüber gesprochen, warum wir denken, dass wir uns mit der Thematik beschäftigen sollten. Die Ergebnisse des ersten Tages waren:

  • Bauwerke erhalten. Geschichte wahren und alte Technik zeigen.
  • Schafft Verständnis für Produktionsstätten: Greifbar im Vergleich zu moderner Produktion.
  • Identität und Empowerment: Respekt für die Leistungen früherer Generationen. Steht auch für Langlebigkeit.
  • Aus der Vergangenheit für die Zukunft lernen: Aufarbeitung der NS-Zeit.
  • Ungleichheit innerhalb der Stadt verstehen: Gentrifizierung nachvollziehen. Was brauchen wir zum Leben?
  • Infrastruktur-Entwicklung, z. B. Ostbahnhof und ÖPNV.
Treppe zur Deutschherrnbrücke, das ist eine alte Eisenbahnbrücke.

Was mir besonders an diesen Gesprächen gefallen hat, war, dass alle aus der Gruppe auch Erfahrungen aus ihrem Berufsalltag einbringen konnten. Ich fand zum Beispiel sehr gut Anknüpfungspunkte an Werksbesichtigungen, die ich bisher gemacht habe.

Andere boten Einblicke aus der Stadtplanung oder aus der Arbeitnehmervertretung oder der journalistischen Fotografie. So funktioniert ganzheitliches Lernen für mich.

Meine Learnings zur Frankfurter Industriekultur

Industriekultur steht niemals allein, sie ist verbunden mit den Unternehmerfamilien und den Arbeitern in diesen Fabriken.

Gerade das Frankfurter Ostend ein jüdisch geprägtes Viertel. Was hier während des Nationalsozialismus geschehen ist, kann man auch durch die Beschäftigung mit Industriekultur lernen. Für mich war das die Recherche zur Naxos-Schleifmaschinenfabrik und der Familie Pfungst. Heute wird die Halle als. Kultur-Ort genutzt und dabei wird die Erinnerung an die Geschichte der Halle weiter erforscht und auch künstlerisch immer wieder aufgearbeitet.

  • Ich habe in der Woche sehr viele Beispiele für Neu- und Umnutzung von Industriebauten gesehen, jedoch keine Beispiele, in denen noch alte Technik gezeigt wird, wie in einem Museum.
  • Gebäude wie die Großmarkthalle oder der Mousonturm sind auch trotz ihrer neuen Nutzung identitätsstiftend. Jedoch nicht so stark, wie in der früheren Arbeitersiedlung im Riederwald – an der Struktur des Viertels und auch an den Wohnungen selbst, wurde nicht viel verändert und heute steht vieles unter Denkmalschutz. Das Selbstbewusstsein der Riederwäldler und die Verbundenheit mit ihrem Stadtteil ist bemerkenswert.
  • Strukturwandel und Gentrifizierung gehen Hand in Hand. Die Frage „Was bedeutet gutes Leben in der Stadt?“ wird mich weiter beschäftigen. Was ich am Anfang nicht gesehen habe, ist das Thema Nachhaltigkeit, dass auch eine Rolle bei der Entwicklung und Veränderung von Wohnvierteln spielt. Ich möchte dem Gedanken weiter nachgehen: Welche Bedürfnisse haben sich seit den zwanziger Jahren nicht verändert? Welche Orte und Strukturen funktionieren immer noch?
  • Natürlich gehören Fragen nach Mobilität, Verbindung und Teilhabe auch zur Industriekultur.
Foto von einem Graffiti in der Sonnemannstraße, dass Heinz Schenk als Sprayer mit Cap und Goldkette zeigt.
Das Ostend heute: Erinnerungen an klassisches Frankfurter Steinzeug, Heinz Schenk, und die alten, orangefarbenen S-Bahnen. Alles als modernes Grafitti.

Begriffe und Orte

Hieran wird noch gefeilt und nachgelesen. Ich habe so viele neue Themengebiete in dieser Bildungswoche gefunden und gerade nutze ich noch die Dynamik aus der Woche, um hier eine Weiter-Lern-Struktur zu bauen. Nächste Woche hat mich ja der Alltag wieder, da werde ich nur mit etwas Vorarbeit weitermachen können.

Industrie Industrie – Wikipedia

Frankfurter Gedeck Ein Arbeiter-Essen bestehend aus Gref Völsing Rindswurst, einem Wasserweck und einem Becher Wurstbrühe. Ohne Schwein, denn das Ostend ist jüdisch geprägt.

Gentrifizierung Gentrifizierung: Ursachen, Formen und Folgen | Stadt und Gesellschaft | bpb.de

Strukturwandel: Strukturwandel | bpb.de

Nach-, Neu- und Umnutzung

Dritte Natur

Industriekultur im Frankfurter Ostend

Badestelle im Ostpark

Ostbahnhof (1913, baulich wie Südbahnhof, heute ebenfalls abgerissen)

Osthafen (1912, damals zweitgrößter Binnenhafen in Deutschland)

Klassiskstadt (Mayfarth-Werke, Landmaschinen)

Großmarkthalle (1926)

Cassella und Badeanstalt der Cassella

Hanauer Bahnhof (wurde abgerissen)

Gartenstadt Riederwald

Schwedlersee

Riederwaldsiedlung (1926)

Tram entlang der Hanauer Landstraße (1926)

PP Heinz (Sachsenhausen)

Adlerwerke (Gallus)

Kommentare

3 Antworten zu „Industriekultur im Frankfurter Osten: Eine Fotosoziologische Spurensuche“

  1. […] Ich war im Oktober 2025 eine Woche lang mit der Kamera im Frankfurter Osten unterwegs. Hier findest du den Übersichtsartikel zur Spurensuche nach der Frankfurter Industriekultur. […]

  2. Super spannend, vielen Dank für die Einblicke und Anregungen. Da bekomme ich Lust, auch mal in meiner Umgebung gezielt nach der Industriekultur zu gucken!

    1. Astrid Schewe

      Liebe Angela, jetzt zeigt sich der „Nachteil“ des dynamischen Bloggens: Ich bin gerade dabei, die Seite neu aufzuteilen und mehrere Artikel zu strukturieren, hier verändert sich also der Text noch sehr. Doch ja, schau unbedingt in deiner Umgebung nach Spuren der Industriekultur (du wirst sie überall finden), man kann so viel Neues dabei lernen!

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