Spurensuche: Die Naxoshalle in Frankfurt

Die Naxosfabrikhalle im Frankfurter Ostend. An einer Mauer hängen Grafitto-Portraits von den Widerstandskämpfern Walerian Wrobel, Ruth Andreas-Friedrich und Mildred Harnack-Fish.

Im Bildungsurlaub zur Frankfurter Industriekultur habe ich die Ausstellung der Initiative 9. November e. V. besucht. Das Ostend war ein jüdisch geprägtes Viertel. Im Anschluss habe ich nach Spuren der Familie Pfungst, den Gründern der Naxos Maschinenfabrik gesucht.

Ausstellung „Ostend – Blick in ein jüdisches Viertel“

Die Initiative 9. November e. V. hat ihre Ausstellungsräume am Ort der zerstörten Synagoge der Israelitischen Religionsgesellschaft. In einem alten Luftschutzbunker, der genau dort steht, wo bis zur Reichspogromnacht die Synagoge in der Friedberger Anlage stand. Wer ab und zu durch die Friedberger Anlage fährt, hat den Bunker bestimmt schonmal gesehen. Davor hängt ein großer Banner, der ein Bild der Synagoge zeigt, die 1907 eröffnet wurde.

Nachdem das Frankfurter Ghetto um 1800 geöffnet wurde, zogen viele Juden in den Osten Frankfurts, das Viertel lag noch nah genug an den religiösen Einrichtungen und koscheren Geschäften und bot besseren Wohnraum. Laut der Ausstellung „Ostend – Blick in ein jüdisches Viertel“ waren 1895 rund ein Viertel der Bewohner des Ostend jüdisch.

Im Rahmen des Bildungsurlaubs war für mich vor allem die kleine Ausstellungstafel „Firmenadresse: Ostend“ von Interesse. Jedoch ist die Ausstellung „Virtuelle Synagoge“ wesentlich beeindruckender und auch die Informationen zur jüdischen Pflegegeschichte bieten eine weitere Perspektive des Ostend.

Auf der Infotafel zu den im Ostend ansässigen Firmen ist mir direkt die Firma Naxos-Union ins Auge gesprungen. Am Nachmittag hatten wir die Gelegenheit, fotografisch auf die Suche zu gehen und ich habe mir vorgenommen, zur alten Naxoshalle zu fahren. Diese steht teilweise noch im Frankfurter Ostend, wenn auch nicht im großen Bereich der Hanauer Landstraße / Lindleystraße, sondern in der Waldschmidtstraße.


Ich war im Oktober 2025 eine Woche lang mit der Kamera im Frankfurter Osten unterwegs. Hier findest du den Übersichtsartikel zur Spurensuche nach der Frankfurter Industriekultur.


Schleifmaschinenfabrik Naxos-Union

Ich kenne das Naxosgelände vom japanischen Filmfestival. Veranstaltungsraum ist dabei die Gußhalle, dort sind dann die Bar, Verkaufsstände und zwei mobile Kinosäle. Die oberen Stockwerke der Halle sind nicht öffentlich zugänglich und Maschinen stehen dort auch nicht mehr.

Zu den jüdischen Industrieunternehmen im Frankfurter Ostend gehörte die Schleifmaschinenfabrik Naxos-Union. Dort wurden Schleifmittel und Schleifmaschinen hergestellt. Zum Schleifen wird bis heute Schmirgel verwendet, dieses Mineral (Korund)wird auf der Insel Naxos abgebaut.

Der Firmengründer, Julius Pfungst (1834 – 1899), hatte das Alleinverkaufsrecht für echten Naxos-Schmirgel in Deutschland erhalten und gründete 1871 die Naxos-Union. Ende der 1870er Jahre errichtete Pfungst die Fabrik zur Herstellung von Schleifmaschinen. Später stellte die Firma dort auch synthetische Schleifmittel her.

Blick auf das Naxosgelände: Links das Verwaltungsgebäude, rechts die alte Gusshalle.

Bis heute erhalten ist die Gusshalle von 1907, die heute als Veranstaltungsort genutzt wird (rechte Seite) und das Verwaltungsgebäude, das zu Wohnungen und Büroflächen umgestaltet wurde (linke Seite).

Die Familie Pfungst

Auf dem Gelände der Naxoshalle wurde eine Schablone mit dem Schriftzug "Naxos" in Orange angesprayt. Dass es Herbst ist, sieht man am Ginko-Laub, dass darüber verstreut ist.

Nach dem Tod von Julius Pfungst führten seine Frau Rosette Pfungst zusammen mit ihrem Sohn Dr. Arthur Pfungst und ihrer Tochter Marie Eleonore Pfungst die Geschäfte weiter.

Arthur Pfungst besuchte das frankfurter Philantropin, danach die technische Hochschule in Hannover und wechselte später an die philosophische Fakultät in Leipzig. Er leitete die Firma, verfolgte dabei gleichzeitig seine akademische Laufbahn. Er forschte zu Indologie und Buddhismus und war Verlagsgründer und Herausgeber der Zeitschrift „das freie Wort“. Er engagierte sich außerdem dafür das „Bildungsniveau der weniger Bemittelten“ (siehe Frankfurter Personenlexikon) zu heben. Er starb 1912.

Das Unternehmen und der Verlag wurde nach seinem Tod von Marie Eleonore Pfungst übernommen. Zusammen mit ihrer Mutter wandelte sie 1918 das Vertriebsvermögen um in Dr. Arthur Pfungst-Stifung. Zweck der Stifung war die Förderung der Bildung unter allen Volksschichten. Dazu gehörte ein Bildungs-Arbeitskreis und die Einrichtung einer Erholungsstätte in Fischbach im Taunus. Ich stelle mir den Arbeitskreis als eine Art Salon vor, weil er sich im Wohnhaus der Familie traf.

Marie Pfungst wird in den heutigen Forschung ganz unterschiedlich beschrieben. Mal als Schwester, die das Unternehmen übernahm, mal als Wohltäterin, die sich der Volksbildung verschrieben hatte. Außerdem als Frauenrechtlerin, da sie 1902 den Verband Frankfurter Frauenvereine gründete. Über ihren Bildungsweg finde ich keine Informationen.

Nach Inkrafttreten der Nürnberger Gesetze 1935 musste Marie Eleonore Pfungst die Leitung des Unternehmens und den Vorsitz der Stiftung an Dr. Rudolf Herbst abgeben. 1942 wurde sie nach Theresienstadt verschleppt und ein halbes Jahr später ermordet.

Graffiti am Durchgang zum Naxosgelände. Man sieht die vier Familienmitglieder der Familie Pfungst. Besonders deutlich und in rot sieht man das Portrait von Marie Pfungst.
Der Durchgang zum Naxosgelände ist mit einem Grafitto geschmückt, das die Familie zeigt.

Ein Graffiti zeigt die Familie Pfungst, umgesetzt vom Jugendladen Bornheim und gestiftet von de Dr. Arthur Pfungst-Stiftung.

Bis heute ermöglicht die Stifung durch verschiedene Studienstipendien Bildungschancen. Daneben betreibt sie das Marie-Pfungst-Wohnstift in Bad Homburg, ein Schüler Café in der Frankfurter Herderschule und eine Kita in Bischofsheim.

NS-Geschichte der Naxoshalle

Nahaufnahme eines alten - ich glaube - Sicherungskasten. Ganz verrostet und von Pflanzen überwachsen.

Bis in die 1980er Jahre wurde die Halle weiter als Fabrik genutzt. Danach wurde das Gelände von der Stadt Frankfurt in Stand gesetzt. Seit 1991 nutzt das Theater Willy Praml die Halle als Spielstätte. Außerdem wird die Halle vom Studio Naxos, dem Jugendladen Bornheim und dem Kabarett Die Käs genutzt.

Die Aufarbeitung der NS-Geschichte der Halle wurde maßgeblich von diesen kulturellen Einrichtungen angestoßen und wird immer wieder künstlerisch aufgegriffen.

2023 wurde auf dem Gelände die Themenwoche gegen das Vergessen ausgerichtet. Einer der Punkte war die Eröffnung der Dauerausstellung zur NS-Geschichte der Fabrik. 2020 begann die Uni Frankfurt der systematischen Forschung zu diesem Ort.

Außerdem führte das Studio Naxos die ortsspezifische Perfomance „Gespenster der Arbeit“ auf, die sich mit der Zwangsarbeitergeschichte auseinandersetzt. In der Naxoshalle wurden mehr als 700 ZwangsarbeiterInnen von den Nationalsozialisten für die Rüstungsindustrie ausgebeutet. Es handelte sich vorwiegend um polnische Frauen, die dort zur Zwangsarbeit gezwungen wurden. Zur Erinnerung gibt es auch eine Gedenktafel.

Die Naxosfabrikhalle im Frankfurter Ostend. An einer Mauer hängen Grafitto-Portraits von den Widerstandskämpfern Walerian Wrobel, Ruth Andreas-Friedrich und Mildred Harnack-Fish.

Heute gibt es auf dem Gelände Streetart, die an den Widerstand gegen das NS-Regime erinnert: Portraits von Herbert BaumWalerian WrobelRuth Andreas-Friedrich und Mildred Harnack-Fish.


UPDATE! Der Hessische Rundfunk hat nun eine Dokumentation über das Leben von Marie Eleonore Pfungst veröffentlicht, der Film wurde von einer der Stipendiatinnen der Pfungst-Stiftung gemacht. Hier außerdem ein Beitrag der Hessenschau zum Film.


Kommentare

2 Antworten zu „Spurensuche: Die Naxoshalle in Frankfurt“

  1. […] Noch mehr über die Frankfurter Industriekultur, speziell die Naxosfabrik. […]

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